Exzellenz und Arbeit

Von Georg Kasch

Am Tag 2 des Bundesforum 2021 diskutieren die Teilnehmer*innen, wie sie arbeiten, leben und gefördert werden wollen.

Was will die Szene der Freien Darstellenden Künste? Die Antworten, die ja schon durch Tag 1 geisterten, ergaben an Tag 2 einen beeindruckenden Chor. Denn bei der Präsentation der Ergebnisse der insgesamt zwölf Arbeitsgruppen hagelte es die immer gleichen Schlagwörter: Stabilität durch Arbeitsstipendien und längerfristige Förderungen. Mehr zeitliche Flexibilität zum Ausgeben der Fördergelder, mehr Unabhängigkeit vom vorab eingereichten Kostenplan. Mehr Weiterbildung und Wissenstransfer. Weg von einer Verwertungslogik – vom projekt- hin zum prozessorientierten Arbeiten. Produktionsorte als Möglichkeitsräume, als Forschungsinfrastruktur statt als reine Proben- und Aufführungspartner*innen.

Die Wunschliste also ist so klar wie lang. Ein bisschen allerdings hat man in den Arbeitsgruppen, aber auch in den Pausen den Eindruck, dass im Selbstverständigungstaumel der Szene wichtige Akteur*innen fehlen oder so in der Minderheit sind, dass sie sich selten zu Wort melden: politische Entscheider*innen, Kritiker*innen, das Publikum. Denn ja: Die Forderungen sind alle richtig. Aber sie sind im Detail auch streitbar. Und am Ende stellt sich immer die Frage, ob sie bei gleichbleibenden oder gar schrumpfenden Kulturetats zu stemmen sein werden, sie sich also zum Beispiel durch Umverteilung erreichen lassen. Oder ob es dafür ein deutliches Bugdet-Plus braucht.

Immerhin: Dass der Run ums Geld nicht zu einem Wettbewerb unter den Künstler*innen, Gruppen und Häusern werden darf (wie es in der aktuellen Förderlogik oft genug der Fall ist), darin scheinen sich alle einig. Was in der Realität des Zuwenig allerdings noch des Realitätschecks harrt. Aber Einigkeit wirkt ohnehin nicht wie ein Problem der Arbeitsgruppen. Eher, dass hier Menschen mit sehr verschiedenen Erfahrungen aus sehr verschiedenen Systemen zusammenkommen und deshalb ein Großteil der Zeit damit vergeht, sich einander verständlich zu machen.

Tom Wolter zieht am Redner*innenpult Resümee aus einer Gesprächsgruppe. Im Hintergrund ist eine Pinnwand mit Schlagwörtern auf großer Leinwand eingeblendet.

So haben die Runden etwas sehr additives: Bei mir sieht’s so und so aus, bei uns ist die Lage so, wir bräuchten das und das. Hoch informativ, diese Kurzmonologe. Nur kommt man so in den zwei Stunden, die die Arbeitsgruppen dauern, trotz kleiner Unterarbeitsgruppen eben nicht in die Diskussion darüber, welche Strukturen, Tools, Institutionen wirklich sinnvoll sind und auf welche man eher verzichten kann. Ein Beispiel: Die AG „Prozess vs. Projekt/Zeitlichkeit der Förderung: Zusammenspiel von kurz-, mittel- und längerfristigen Förderkonzepten“ (wer hat sich eigentlich diese Titel ausgedacht?). Natürlich waren sich alle einig, dass langfristige Förderungen besser sind als Projektförderung. Nur wie sieht das im Detail aus?

In einigen Bundesländern gibt’s zwischen Projekt- und institutionalisierter Förderung keine Schattierungen, in anderen werden nur noch Gruppen mit eigenen Häusern institutionell gefördert. Während einige vehement fordern, die Projektförderung in Exzellenzförderung umzubenennen, weil das für mehr Anerkennung sorge, finden das Teilnehmende aus Rheinland-Pfalz kontraproduktiv. Denn dort ist die Freie Szene ländlich geprägt, dort kommt es unter anderem darauf an zu vermitteln, dass es sich bei Kunst um Arbeit handelt. Und während sich einige Berliner über die Abschaffung der eigenen Haushaltstitel großer Gruppen beklagten (jetzt sind sie in der vierjährigen Konzeptförderung und also von Jurybeschlüssen abhängig), wirkt das aus Sicht anderer Bundesländer offenbar eher wie ein Luxusproblem. Auf Einspruch zu stoßen schien auch die These einer Untergruppe, dass mehrjährige Förderungen zwar Entspannung im künstlerischen Prozess produziert, die Mitarbeiter*innenfindung ebenso erleichtert wie flexibleres Agieren und das Einwerben von Drittmitteln, aber dass sie nicht die Kunst verändert.

Genug Stoff also für Konflikt, für kontroverse Debatten. Dass es dazu nicht kommt, liegt an der Zeit und der Größe der Gruppen. Vermutlich hätte man mit den Themen problemlos auch einen ganzen Tag füllen und jeden Themenbereich mit einer Diskussion abschließen können, in die sich auch die Teilnehmer*innen hätten einmischen können, die zuvor andere Themen bearbeiteten. Am Ende aber, bei den Zusammenfassungen, die wiederum sehr additiv wirken (aber immerhin im jetzt gut gemanagten Zeitplan bleiben), kristallisieren sich die genannten Forderungen heraus. Gut möglich, dass sie ihre Kraft entfalten werden im Verbund mit all den Studien, die der Fonds DaKü dazu in Auftrag gegeben hat und deren Leiter*innen oft für die Arbeitsgruppen-Impulse verantwortlich waren. Zumal, wie gestern oft betont, auch die Kulturpolitik weiß, dass sich die Förderpolitik ändern muss.

Was am Ende in diesen politischen Reibungsprozessen aber wirklich rauskommt, ob der Föderalismus da eher Hilfe oder Bremse ist, ob das Machbare am Ende auch das Wünschenswerte ist, muss sich erst weisen. Vielleicht ist es eine Stärke des Bundesforums, dass dieser Realitätscheck hier kaum eine Rolle spielt, sondern die Selbstverständigung im Mittelpunkt steht, das Sammeln von Forderungen und Argumenten. Vielleicht ist es aber auch seine Schwäche. Denn Papier ist geduldig. Und (Kultur-)Politik zäh.


Tagesaktuell berichten die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp von dem Geschehen vor Ort, zeichnen die Diskussionen nach und geben Einblicke in die Vorträge und vertretenen Standpunkte.