Hier geht’s um die Zukunft

Von Elena Philipp

Wo in den Freien Darstellenden Künste zu unterstützende Potenziale liegen, erkunden beim Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft“ die Vorträge zu Künstlicher Intelligenz, dem Publikum im Digitalen, Diversität, Nachhaltigkeit und Kultur jenseits der Großstädte.

Die Förderstruktur für die Freie Szene neu denken und Ideen entwickeln, wie das Fördersystem optimiert werden kann: Das war das Ziel des Symposiums „Transformationen der Theaterlandschaft“ des Fonds Darstellende Künste. Vorgestellt wurden die Ergebnisse einer mehrmonatigen wissenschaftlichen Erforschung der Förderstruktur für die Freie Szene. Im ersten Teil des Symposiums, der sich dem betrieblich-gewerkschaftlichen Kernbereich rund um die Fördersystematik widmete, verdichteten sich die jahrzehntelangen Erfahrungen und Expertisen der Akteur*innen aus Politik, Verbänden und Künstler*innenschaft zu spezifischen Ansätzen und Handlungsempfehlungen. Weit weniger begangen erschienen hingegen die Pfade in den Entwicklungsgebieten, welche die Nachmittags-Panels eröffneten. Vier der zwölf Forschungsaufträge untersuchten die Schnittstellen der Freien Darstellenden Künste zu derzeitigen Diskursen, in denen unser aller Zukunft mitgestaltet wird: Künstliche Intelligenz, Digitalität, Diversität, Nachhaltigkeit und das Verhältnis von Stadt und Land. Umfassend sind die Aufgaben, vor denen hier nicht nur der Sektor der Darstellenden Künste steht, sondern die gesamte Gesellschaft.

Auf dem Weg zu einer neuen digitalen Kultur

„Die Perspektive der Darstellenden Künste im Bereich Künstliche Intelligenz ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit“, machte Hilke Berger denn auch in ihrem Vortrag klar. Das Potenzial von KI in den Künsten hält die Hamburger Medienwissenschaftlerin für evident: neue Erzähltechniken, neue Formate, andere Zugänge und Formsprachen. Vor allem aber die Chance, eine Technologie und die von ihr bedingte Vorformatierung unseres Weltzugangs sichtbar und verständlich zu machen. Einer Technologie, der sich viele Menschen ausgeliefert fühlten, obwohl wir alle ihre Durchsetzung – und, wie Hilke Berger kritisiert, eine kapitalistisch grundierte Vorstellung von ‚Fortschritt’ auch in den Darstellenden Künsten – aktiv vorantrieben.

Im Kern zielt ihre Forschung auf die Systemrelevanz von Kunst, die beim Symposium mehrfach adressiert wurde. „Dieses Potenzial gestaltender Verantwortung gilt es zu fördern“, schließt Berger denn auch. Von den in ihrer Studie Befragten brachte sie ähnliche Forderungen mit zum Symposium, wie sie in den vorherigen Beiträgen zur Fördersystematik geäußert worden waren: Mehr Zeit, weil das Programmieren, Testen und Umschreiben von Software aufwändig ist; mehr Geld, denn Hardware und Know-How in dem Bereich sind teuer und die Arbeitsprozesse dauern länger; mehr Flexibilität in den Förderprogrammen, weil hier an vielen Stellen Forschung mit offenem Ausgang erfolgt.

Zentral aus ihrer Sicht, um die Potenziale von KI in den Künsten zu realisieren: Raus aus dem Sparten- und Silodenken. In KI überlagerten sich so viele Wissensbereiche, dass eine Begrenzung auf die Darstellenden Künste nicht sinnvoll erscheine. Entscheidend also: die Vernetzung mit anderen Bereichen und Kooperationen wie etwa im Fall der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund. Infrastrukturen würden helfen, hört man hier heraus. Eine Verankerung in der Ausbildung und neue Studiengänge.

Auch für die Künstler*innen hat die Wissenschaftlerin von der Hamburger HafenCity Universität Hamburg eine Handlungsempfehlung. „Technology is the answer – but what was the question?“, zitiert sie den Architekten und Architekturtheoretiker Cedric Price. Das heißt: Klar bleiben in der Fragestellung. Nicht nur im digitalen Raum arbeiten, weil das gerade angezeigt scheint – sondern weil damit ein eigenes Anliegen verbunden ist.

Hilke Marit Berger am Redner*innenpult. Im Hintergrund die Projektion ihrer Präsentation. © Dorothea Tuch

Vortrag von Dr. Hilke Marit Berger

Sharing, Hacking und Community Building als zentrale Praktiken

Ganz zueinander gefunden haben Darstellende Kunst und Digitalität offenbar noch nicht in den vergangenen Pandemie-Monaten. Das ist eine Erkenntnis von Henning Mohr und Svenja Reiner, die in ihrer explorativen Kurzstudie zur „Förderung einer Kunst der Vermittlung: Das Publikum im Digitalen“ neun Thesen entwickelten. Zum Beispiel wollen die Zuschauer*innen im Digitalen als Prosument*innen Kunst nicht nur konsumieren, sondern mitgestalten. Mit der im Netz entstandenen oder entstehenden neuen partizipatorischen Kultur, von der der Medienwissenschaftler Henry Jenkins (https://henryjenkins.org) spricht, setzten sich freie Produktionen bislang aber kaum tiefgehend auseinander, so Reiner. Stattdessen erlebten ihre Gesprächspartner*innen aus der #TakeThat-Förderung die Digitalität als „frustrierende Mangelerfahrung“. Für Reiner liegt auf der Hand, warum: Die Künstler*innen hätten Digitalität zu ihren Projekten „dazugedacht“ und Arbeiten in den digitalen Raum oft lediglich übertragen, statt sie dort herzustellen. Digitales Denken will gelernt sein: Qualifizierung ist hier dringend nötig, da stimmen Henning Mohr und Svenja Reiner mit Hilke Berger überein.

Auch eine neue (Arbeits-)Kultur gelte es zu etablieren, damit nicht jede Performance-Gruppe das Rad neu erfindet: Hacking, Sharing und Community Building als zentrale Praktiken der digitalen Kultur sollten auch digitales Theater prägen, so Svenja Reiner. Hacking als die Kunst, einen Umweg zu (er)finden; Teilen von Wissen als Grundlage eines Selbstverständnisses der Community; die Interessengemeinschaft als ein temporärer Zusammenschluss von Individuen, um ein Problem zu lösen – zentrale gesellschaftliche Fragen zum Beispiel. Da ist sie wieder, die mögliche Systemrelevanz einer sich in zentralen Feldern gesellschaftlicher Grundlagenforschung positionierenden Kunst. Bislang sind das vor allem schlummernde Potenziale: „Es gibt einen Dornröschenschlaf in der deutschen Kultur in dem Bereich, den gilt es auch etwas rabiater wachzurütteln“, so Hilke Berger. International könne Deutschland bislang im Bereich Künstliche Intelligenz in der Kunst nicht mithalten.

Diversität setzt veränderte Werte voraus

Nachholende Entwicklungen wie im Technologiebereich mahnte für die Freie Szene auch Özlem Canyürek an – im Bereich Diversität. Diversität sei kein Trendthema, so die Soziologin und Kulturpolitik-Forscherin, auch nicht bloße Querschnittsaufgabe, sondern kulturpolitisch prioritär zu setzen, um bislang unterrepräsentierten Gruppen den Zugang zu den Darstellenden Künsten zu ermöglichen. Herausfordernd: Diese Diversitätsentwicklung erfordert, so Canyürek, auch veränderte Ideale, Werte, Reflexe und Habitus der kulturpolitischen Akteur*innen.

„Hier geht es um Macht“, so Canyürek – und um Teilhabe an dieser Macht: Die Transformation der Player*innen selbst ist nötig, damit Diversität mehr sein kann als ein Modewort. Wie zuvor, als nach zwei Stunden Symposium Dieter Ripberger im Zwischenfazit das Fehlen von Frauen auf dem Podium ansprach, fiel hier auf, wie Anspruch und gelebte Wirklichkeit mitunter noch auseinander klaffen. Wo waren die PoC-Forscher*innen, -Kulturpolitiker*innen und -Künstler*innen bei dieser Veranstaltung? Im Saal und auf dem Podium des Symposiums sah es aus wie in weiten Teilen der Theaterlandschaft: allzu weiß.

Hilke Marit Berger am Redner*innenpult. Im Hintergrund die Projektion ihrer Präsentation. © Dorothea Tuch

Vortrag von Dr. Özlem Canyürek

Konkrete Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit

Taten statt Worte. Das gilt auch für den Bereich der Nachhaltigkeit. Hier breiteten Maximilian Haas und Sandra Umathum eine Fülle an Maßnahmen vor den Zuhörer*innen aus. Die meisten der Vorschläge und Vorhaben kursieren bereits in der Freien Szene oder sind in Erprobung: Klimabilanzierung, Materialzentren für die Ausleihe von Technik oder Requisiten, Kreislaufwirtschaft, ökologische statt finanzieller Vergaberichtlinien. Im Bereich der Mobilität: Pro-Kopf-Kilometerbudgets und weniger Dienstreisen. Flugformeln, also ein Verhältnis von Flugstunden oder -kilometern zur Aufenthaltsdauer am Zielort, und die Finanzierung internationaler Scouts statt reisender Kurator*innen. Außerdem längere Lebenszyklen für Produktionen, das heißt, mehr Wiederaufnahmen sowie Förderungen für das Weiterentwickeln existierender Arbeiten.

Alles nach der „Faustformel: Vermeiden, Verringern, Kompensieren“, am besten auf der Basis eines künstlerischen Grundeinkommens, so Maximilian Haas. Angemessen konkret, diese Vorschläge. Erschreckend aber auch, wie viel zu tun ist. Und die Uhr tickt, so Haas: „Wie viel Zeit geben wir uns für Lösungen, die wir für unsere eigenen halten?“ Die Transformation ist unausweichlich – entweder by design oder by desaster.

Den Wandel von unten unterstützen

Wie gut, dass Michael Kranixfeld das letzte Wort vor dem Schlusspanel hatte. Sein Vortrag über die „Förderung der freien Darstellenden Künste jenseits der Großstädte“ zeigte, dass dort Vieles schon geschieht, was in den Forschungsergebnissen noch als Forderung formuliert ist. Die soziale Bedeutung von Kunst scheint in der sogenannten Peripherie alltagsevident: Bei Akteur*innen wie dem Theater89 in Brandenburg, Tanzart Sachsen oder dem Figurentheatertage Vorpommern steht das Publikum im Zentrum der künstlerischen Überlegungen, wie Kranixfeld ausführt. Gelebte Demokratie vor Ort, Begegnung als wichtigste Kategorie: Nahe sind die Akteur*innen jenseits der Metropolen ihren Zuschauer*innen – denjenigen, denen, wie Katharina Schröck im Zwischenfazit anmerkte, selbst im Vortrag über Vermittlung beim Symposium nicht das Wort erteilt worden war.

Dürfte man als Autorin zwei der Ideen bestärkend hervorheben, die an diesem ideenreichen Tag kursierten, dann die Anregung, maßgeschneiderte, am Bedarf dieser Akteur*innen orientierte Förderungen einzurichten. Gerne längerfristig, mit Infrastrukturanteilen, Recherche- und Residenzoptionen. Und, wie von Özlem Canyürek gefordert: Bottom-up-Ansätze als treibende Kraft für die Transformation der Freien Darstellenden Künste aufzugreifen. Um bislang nur vereinzelt begangene Pfade in neue Wege zu verwandeln.