Nachhaltige Zukunft für eine Ruine

Von Elena Philipp

Kultur trotz(t) Krise (Folge 2): Das studioNAXOS errichtet mithilfe einer #TakePlace-Förderung in einer Frankfurter Industriehalle ein klimaneutrales Modelltheater.

Energieeffizienz in einem denkmalgeschützten Fabrikgebäude? Das ist eine Herausforderung, oder? Als Chance für ein Modellvorhaben sieht diese Aufgabe der Bühnenbildner Jakob Engel, Leiter des Projekts Naturtheater Naxos. Gemeinsam mit der Plattform für junge darstellende Künste studioNAXOS setzt er es in einer ehemaligen Schleifmaschinenfabrik um. „Die Naxoshalle bietet sich als Labor an, eben weil sie so ruinös ist. Anders als in vollklimatisierten Theaterbauten, in denen eher der Rückbau ein Thema ist, stellen sich in einer Ruine die gleichen Fragen wie beim Neubau eines Hauses.“ Die verwendeten Baumaterialien, die Wärmedämmung, Heiz- und Energiekosten, die Lebens- und Nutzungsdauer des Gebäudes – all das spielt in die Klimabilanz eines Gebäudes mit hinein.

Als begehbares Modell baut studioNAXOS in den kommenden Monaten ein klimaneutrales Theater in die Naxoshalle. Und folgt dabei zwei Leitfragen: Wie kann aus einer Industriestätte des 19. Jahrhunderts ein nachhaltiges Laboratorium des 21. Jahrhunderts entstehen, das innovative Arbeitsweisen, Kollaborationen und Geschichten ermöglicht? Und welche Ästhetiken können eine sich radikal transformierende Umwelt mitdenken? Der Bau ist die zweite Projektphase für das Naturtheater Naxos, finanziert aus der #TakePlace-Förderung des Fonds Darstellende Künste. Im Austausch mit Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Architekt*innen wird der Modellbau entstehen. Unter dem Glasdach der ehemaligen Maschinenhalle, einem der letzten Gebäude eines sonst längst abgerissenen Industriegeländes. Dort stellte das Unternehmen NAXOS-Union Schmirgelpapier und Schleifmaschinen her, bis es die Globalisierung verschlief und 1989 Konkurs anmeldete.

Innenraum einer Lagerhalle mit Pfeilern, Betonboden und fahrbaren Konstruktionen unter der Decke. Im hinteren Teil des Mittelganges wurden eine Bühne und Scheinwerfer installiert. © Theater Willy Praml

Naxoshalle

Auf der Industriebrache siedelten sich um die Jahrtausendwende dann Kunst und Kultur an. Die riesige denkmalgeschützte Maschinenhalle mit ihren 80 Metern Länge und 30 Metern Breite wird seit der Jahrtausendwende von einer Kunstkooperative betrieben: Als „Hausbesetzer*innen“ schufen sich die Mitglieder des freien Theaters Willy Praml in der Naxoshalle mit ihren zwei seitlichen Galerien im Jahr 2000 eine eigene Spielstätte. Das deutsch-türkische Kabarett Die KäS kam hinzu, die experimentelle Bühne teAtrum VII richtete sich in der Halle ihre Probenräume ein, der Jugendladen Bornheim ein Atelier. Aus der Brache, die „zu einer Art ‚Bronx‘ verkommen“ war, wie es das Theater Willy Praml beschreibt, wurde ein rege genutztes, romantisch verfallenes und prekär finanziertes Kulturquartier in unmittelbarer Nachbarschaft zum Internationalen Produktionshaus Mousonturm. Bald wurde das Areal von Gentrifizierungs-Prozessen eingeholt: Errichtet wird dort, zwischen den einwohnerstarken Frankfurter Vierteln Bornheim, Nordend und Ostend, ein neuer Stadtteil.

2014 zog das studioNAXOS auf das kollektiv betriebene Kulturgelände. Die Plattform für junge darstellende Künstler*innen aus Hessen produziert und zeigt Theater, Musik und Performance – und hat es, gemeinsam mit den anderen Initiativen in der Naxoshalle, geschafft, den Ort auf ein neues Level zu heben. „Die Naxoshalle ist in den letzten Jahren als Produktionshaus enorm wichtig für die Freie Szene Hessens geworden“, sagt der Regisseur Jan Philipp Stange, der das studioNAXOS gemeinsam mit vier weiteren Personen leitet und der auch für das Naturtheater Naxos verantwortlich ist. Zur Professionalisierung gehört das kulturpolitische Bestreben, die eigene Arbeit zu verstetigen. Im nagelneuen Frankfurter Koalitionsvertrag von Grünen, SPD, FDP und der Partei Volt hat die Naxoshalle einen eigenen Eintrag: „Zusätzlich unterstützen wir die Entwicklung eines Produktionshauses für die Freie Szene unter Einbindung von studioNaxos und Theater Willy Praml am Standort der historischen Naxoshalle unter energieeffizienten Gesichtspunkten.“

Energieeffizienz im Theater – das ist der künstlerisch forschende Antrieb des studioNAXOS und nun zugleich ein politischer Auftrag. Betraut damit sind im Kernteam des Naturtheater Naxos neben Jakob Engel die Kunstwissenschaftlerin Manuela Mehrwald, die Kollektivität im digitalen Raum erforscht und eine als Informations- und Vernetzungsplattform dienende Webseite entwickelt, sowie Arthur de Buren, ein junger Architekt aus der Schweiz. Fachlich verortet an der Grenze von Architektur, Nachhaltigkeitsdiskurs und Theater, studiert de Buren am Pariser Kolleg des Soziologen und Philosophen Bruno Latour. Beteiligt war er unter anderem an Latours Ausstellungsprojekten „Down to Earth“ im Berliner Martin Gropius Bau und „Critical Zone“ am ZKM Karlsruhe. Der Untertitel eines Buches, das der französische Nachhaltigkeits-Vordenker Latour schätzt, ist es auch, das die Suchbewegungen des studioNAXOS leitet: Anna Lowenhaupt Tsings Essay „Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“.

(Über-)Leben lernen in Ruinen: Woran orientieren sich Jakob Engel und das studioNAXOS bei ihrer Suche nach dem klimaneutralen Theaterbau und -betrieb in technischer Hinsicht? Wärme und Licht sind zwei Kernfragen, die sie identifiziert haben – „zwei große Klimafaktoren bei Stadttheaterbühnen“, so Engel. Auch die großen Häuser sollen von ihrem Modellprojekt lernen können. Kunstlicht haben sie für ihr Naturtheater-Modell ausgeschlossen. Die Naxoshalle mit ihrem Oberlicht ist ohnehin kaum ganz dunkel zu bekommen. Ob sie bei Tage spielen oder mit dem Sonnenuntergang inszenieren wie in der Antike, ist noch offen. Bislang wird in der Naxoshalle auch weder geheizt noch gekühlt. „Bis November ist es ok, dann spielen wir in der Kälte“, erzählt Jan Philipp Stange. Eng beieinander sitzend, wärme sich das Publikum in den Wintermonaten gegenseitig. „Insofern geht ein klimaneutraleres Theater wahrscheinlich gar nicht – weil man sich in der Naxoshalle mit klimatischen Gegebenheiten auseinandersetzen muss“, so Stange. „Anders als Wohnräume kann man eine Spielstätte aber erst eine halbe Stunde vor der Vorstellung aufwärmen“, nennt Jakob Engel einen zentralen Gedanken für das Naturtheater Naxos. „Dann sind die Menschen da und erzeugen Wärme.“ Das Theater als Wärmestube ist für den Bühnenbildner eine schöne Vorstellung, die soziales Erleben und ökologischen Betrieb umfasst: „Gemeinsames Theatererfahren soll ein gemeinsames Wärme- und Klimaerfahren sein.“

Innenraum einer Lagerhalle mit grün gestrichenen Pfeilern und Palmen. Bis unter das Dach ist ein Mosaik aus grünen Kacheln und Screenshots aufgebaut. © Gloria Schulz

Naturtheater Naxos

Noch ist das Team in der Ideenfindung, plant vorerst mit einem temporären Bau. Anregen soll er zum Nachdenken über nachhaltige Theaterproduktion und alternative öffentliche Orte. Zugleich soll er als wieder auf- und abbaubare Spielstätte dienen: „Wir wollen nichts, was dann im Lager landet oder im schlimmsten Fall weggeschmissen wird“, erklärt Jakob Engel. „Das ist ein Produktionskreislauf, der so nicht mehr geht.“ Auf seinem Bildschirm zeigt der Bühnenbildner eine Sammlung an Konstruktionsideen und Vorbildern – ein mobiles Kino aus mit Leinwand bespanntem Holz, die Außenspielstätte; des Londoner Arcola Theater; Wärmebildexperimente des an Atmosphären interessierten Architekten Philippe Rahm; das auf dem Wasser treibende Teatro del Mondo von Aldo Rossi bei der Architekturbiennale Venedig 1979; ein Theaterfloß, das für die Zürcher Manifesta gebaut wurde. Diese Ideensammlung wird später auch den Besucher*innen des Naturtheater Naxos zugänglich gemacht.

Bis November soll der Modellbau stehen. Dann wird, mit einer langfristigen Förderung über die Stadt Frankfurt oder besser noch den Bund, wie Jan Philipp Stange findet, nach einer dauerhaften Lösung für das Naturtheater Naxos gesucht. „Wie können die ökologischen Fragen des Naturtheaters mit in die Entwicklung des Naxos-Produktionshauses einfließen und in Frankfurt am Main eine Zukunft bekommen?“, formuliert Jan Philipp Stange die Aufgabe. Von außen betrachtet ist das studioNAXOS schon weit vorangeschritten auf diesem Weg zu einem Theater der Zukunft.

In der Reihe „Kunst trotz(t) Krise“ blicken die Kulturjournalist*innen Elena Philipp und Georg Kasch im Auftrag des Fonds Darstellende Künste einen Blick hinter die Kulissen geförderter Projekte. Wie wirkt die #TakeThat-Förderung des Fonds im Rahmen des NEUSTART KULTUR-Programms der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien?