Round Tables für eine diverse Förderung

„Wie kann der Fonds seine Förderangebote für alle zugänglicher gestalten? Seit vergangenem Jahr wird der Fonds von ‚critical friends‘ aus der Kunstpraxis an Runden Tischen beraten, moderiert von Prof. Dr. Margarita Tsomou. Mit Dank an alle Teilnehmer*innen, die hier ihre Eindrücke zu den bisherigen Dialogen beschreiben. Wir freuen uns auf eine Weiterführung der fruchtbaren Gespräche!

Angie Hiesl | Performance-Künstlerin

© © Roland Kaiser

Ganz herzlichen Dank an die Beteiligten des Round Table zum Thema Altersdiskriminierung und Förderung, ebenso dem Fonds Darstellende Künste für die Einladung, Förderung gemeinsam und bedarfsorientiert neu zu denken. In der Runde aus mid-careers, late midcareers (ich würde noch keine*n von uns als senior bezeichnen, allerdings auf dem Weg dorthin!) hatten wir ganz wunderbar die Möglichkeit, unsere Bedürfnisse und Anliegen direkt und ungeschönt auf den Tisch zu legen. Die Debatten gingen sehr stark von der sozioökonomischen Situation der Einzelnen aus. Nicht auskömmliche Alterssicherung stellt ein Kernproblem dar, und Fördersysteme sollten dem auch frühzeitig Rechnung tragen. Mut zum Umdenken ist gefragt – weg mit dem Druck von immer neu, neu, neu. Innovation gekoppelt mit Stetigkeit sowie Handschrift und Werk sind Parameter für Nachhaltigkeit in der Kunst. Mut, mit Qualitäten des Alters zu arbeiten... Wertschätzung von lang andauerndem künstlerischem Agieren wird eingefordert und sollte sich in den Förderungen widerspiegeln. Auseinandersetzung mit Alter heißt auch, sich kulturpolitisch mit lang andauernden Zeitspannen zu beschäftigen - in langen Förderzeiträumen denken ...

Lamin Leroy Gibba | Schauspieler, Autor, Film- & Theatermacher

© © Elena Zaucke

Wir befinden uns nicht am Anfang. Hier in Deutschland setzten sich Menschen und Vereine seit langem dafür ein, dass Kunstschaffende, welche von Systemen – Rassismus, Sexismus, Ableismus, Antisemitismus, Cis- und Heterosexismus, Klassismus und anderen – diskriminiert werden, angemessene Ressourcen haben, um ihre Arbeit zu machen. Es ist nicht überstürzt, wenn wir von staatlichen Förderinstitutionen Quoten fordern, welche die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln. Quoten für Mitarbeiter*innen, Jurys und für die Auswahl geförderter Projekte. Abteilungen von Expert*innen sollten Institutionen auf diesem Weg begleiten und leiten. Inklusion ist kein Vorgang, der schleichend oder mit Vorsicht passieren kann. Dafür sind die Strukturen, die ihr entgegenwirken, zu stark.

Tümay Kılınçel | Choreografin & Performerin

© © Cornelius Schaper

Um Zugänglichkeit bei den Förderstrukturen zu schaffen und eine Sichtbarkeit von verschiedenen Perspektiven in der Kulturlandschaft möglich zu machen, ist eine vielfältige Jury mit unterschiedlichen Hintergründen meiner Meinung nach am wichtigsten. Eine (übergangsweise) Quoteneinführung würde das unterstützen. Der Auftritt (Webseite und Image) vom Fonds Darstellende Künste wirkt exklusiv und elitär, und sollte einladender sein. Angebote wie FAQ's schaffen Hürden ab, allerdings ist ein persönliches Gespräch förderlicher, daher begrüße ich die telefonische Beratung zur Antragsstellung. Diese ist sinnvoll, um Unklarheiten und Unsicherheiten abzuschaffen, aber auf diese Angebote sollte klarer hingewiesen werden. Hilfreich ist auch eine einfache Formulierung der Webseite. Darüber hinaus wäre es wertvoll, für den Antragstext (Projekt bzw. Residenzbeschreibung) anleitende Fragen und eine Gliederung anzubieten, die man nutzen kann.

Barbara Fuchs | Choreografin, Künstlerische Leitung tanzfuchs PRODUKTION

© © Martin Möller

Ich hatte mich sehr über die Anfrage zur Teilnahme an dem Round Table zum Thema Altern/Ageism gefreut, weil das Thema nach meiner Meinung erst mit unserer Generation an älteren Freischaffenden Künstler*innen zu Tage tritt. Wir sind sozusagen die „neuen Alten“. Vieles was wir thematisch bei diesem Runden Tisch besprochen haben gilt auch für unsere jüngeren Kolleg*innen wie z.B. Forderungen nach längeren Förderperioden, raus aus Projektlogik, hin zu ergebnisoffener Finanzierung, Stipendien etc., Absicherung für Zeit, in der man nicht arbeitet, Feedbackschleifen zwischen Antragstellenden und Jurys einführen und vereinfachte Antragsverfahren. Vieles hat sich in den letzten Jahren in der Künstler*innenförderung bereits verbessert, trotzdem werden viele von uns in der Altersarmut landen. Es war gut, sich mit Kolleg*innen auszutauschen. Zu erfahren, dass auch sie „trotz“ Erfolgs in ihrem künstlerischen Schaffen nicht über eine ausreichende Altersversorgung verfügen. Diese Offenheit schaffte einen Einstieg, um über Themen wie die Einführung einer Grundrente für Künstler*innen, das Arbeiten mit „Alten“ oder lebenslanges Lernen zu sprechen.

Karolina Dreit | Dramaturgin, Soziologin, Kulturarbeiterin

© © Kristin Dreit

Über Klassismus zu sprechen bedeutet für mich, über die gesellschaftliche Bedeutung von Klasse nachzudenken. Ist das im Roundtable einer etablierten Institution der Kulturförderung überhaupt möglich, fragte da mein marxistisches Über-Ich. Es war spannend! Vor allem auch, weil die Moderation uns stetig dazu aufforderte unsere Wünsche auszusprechen. Bezahlte Zeit zum Experimentieren, geförderte Räume der Selbstorganisation waren nur einige davon. Und immer wieder stellten wir fest: In Bezug auf Klasse ist es komplex und muss intersektional gedacht werden. Im Kunst- und Kulturbereich gibt es Ausbeutung und ungleiche Chancen und nicht jede:r kann es sich leisten, prekär zu arbeiten. Armut zerrt am Körper, der gerade in den Darstellenden Künsten auch Kapital ist. Wir brauchen Klassenkampf! Und dann ist da auch die Lust an Spiel, Entfaltung und am Experimentieren, die jeder:m zusteht. Auch neue Ästhetiken müssen her! Bessere Zugangsmöglichkeiten und finanzierte Räume wären ein Anfang.

René Reith | Choreograf*in, Performer*in & Tanzwissenschaftler*in

© © Francisco Vogel

Mit dem Round Table "Zugänglichkeit // Gender Diversity" hat der Fonds Darstellende Künste einen wichtigen Anstoß gegeben, die komplexen Verschränkungen zwischen intersektionalen, queer-feministischen Diskursen und den Förderstrukturen in den Blick zu nehmen. Die Berater*innen griffen auf körperliches Wissen aus ihren eigenen künstlerischen Praxen zurück, was eine positiv hervorzuhebende Perspektive auf anstehende Veränderungen ist. In den vertrauensvollen und kritischen Gesprächen bestand die Herausforderung darin, die Balance zwischen der tiefgründigen Reflexion von Förderstrukturen und konkreten Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung eben jener auszutarieren. Zentrale Empfehlungen sind unter anderem die Diversifizierung und Fortbildung der Jury, der Abbau von Barrieren in der Antragsstellung wie auch die Verstärkung von Zugangsmöglichkeiten für Akteur*innen, deren künstlerische und queere Praxen bisher nur marginal Sichtbarkeit erhalten haben. All dies ist in meinen Augen mit der grundsätzlichen Sensibilisierung für queere Lebensentwürfe verbunden.

Pierre Zinke | Schauspieler, Buchautor, Podcaster & YouTuber

© © privat

Mein Name ist Pierre Zinke. Der Rollstuhl begleitet mich auf Schritt und Tritt, da ich eine angeborene körperliche Beeinträchtigung habe. Bei allen Aktivitäten, denen ich so nachgehe, ist mir der inklusive Grundgedanke am allerwichtigsten. Niemand sollte Ausschluss erfahren, denn von einer inklusiven Gesellschaft können alle ihre ganz persönlichen Vorteile herausziehen. Mit diesem Ansatz versuche ich in mehreren inklusiven Vorständen die Welt ein kleines bisschen bunter mitzugestalten. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Herausforderung, die sich nicht von heute auf morgen lösen lassen wird und viel Zeit braucht. Ich möchte in die Runde den Aspekt mit einbringen, dass die meisten Kulturschaffenden mit Behinderung ihre künstlerischen Tätigkeiten nur im Freizeitbereich ausüben können. Das bedeutet, dass wenn es um die Zugänglichkeit von Förderrichtlinien geht, der Zugang sich oft nicht für alle gleichermaßen als greifbar erweist, Förderung für Künstler*innen mit Behinderungen aufgrund eines z.B. fehlenden Professionalitätsstatus oft nicht greifbar ist. Ich bin unter anderem Schauspieler, Buchautor, Podcaster und YouTuber. Und ich habe die Leidenschaft für das Tandem-Fallschirmspringen für mich entdeckt. Was dies anbelangt bin ich ein verrückter Hund. Aber auch verrückte Hunde werden vom Leben nicht ausgeschlossen.

Clair Howells | Künstlerische Leitung Theater Titanick

© © privat

Als langjährig aktive Künstler*innen fordern wir eine angemessene finanzielle Absicherung im Alter. Wir möchten weiterhin als Künstler*innen arbeiten und künstlerisch-ästhetische Impulse und Kriterien im Zuge des Generationswechsels gemeinsam weiterentwickeln. Künstler*innen, die über 20 Jahre aktive Arbeit geleistet haben, sollten nicht alle drei Jahre ihre Regelförderung beantragen müssen, sondern die Möglichkeit einer Förderung über zehn Jahre erhalten. Auch die langfristige Einrichtung eines Arbeitslosengeldes für freiberufliche Künstler*innen durch die KSK ist wichtig. Der Fonds Darstellende Künste hat in der Coronazeit breit aufgestellte Förderungen geboten. Wir begrüßen, dass viele Fördertöpfe eine Unterstützung für ergebnisoffenes Arbeiten gewährleisteten und hoffen, dass ein Teil der Kultur-Sonderförderung durch den Bund (BKM) auch in Zukunft erhalten werden kann. Die Diskussionen im Round Table waren ein guter erster Schritt und äußerst inspirierend. Es war für mich interessant zu sehen, dass es anderen Künstler*innen ähnlich ergeht. Spannend bleiben die nächsten Schritte!

Lisa Deniz Preugschat | Leitung theaterperipherie, Frankfurt am Main

© © privat

Es wirkte für mich empowernd während des Round Tables in meiner Kritik an den Förderstrukturen bestärkt zu werden und zu merken, dass andere BIPoC Künstler*innen ähnliche Ängste und Erfahrungen des „Scheiterns“ haben. Außerdem war es interessant auf Missstände und auch Lösungswege hingewiesen zu werden, die mir vorher nicht bewusst waren. Ein wichtiges Ergebnis unserer Gespräche war die Forderung nach einer Diversifizierung der Jurys, um so Qualität nicht mehr nur von einem white gaze bestimmen zu lassen, dessen Bewertung, Unverständnis und Voyeurismus sich BIPoC Künstler*innen nicht mehr aussetzen wollen. Außerdem schien uns gerade im Hinblick auf den Fonds Darstellende Künste wichtig, dass nicht nur etablierte Künstler*innen gefördert, sondern auch der Mut aufgebracht werden sollte, Künstler*innen zu unterstützen, die der bisherigen hegemonialen Produktionslogik nicht entsprechen können oder wollen.

Olympia Bukkakis | Drag Queen & Choreografin

© © Ceren Saner

Given the prevailing liberal discourse that promotes LGBT perspectives in popular culture and the arts without addressing the material costs of homo- and transphobic oppression, I was excited to speak with other artists about how diversity in the arts could actually be supported. I come from a discipline (drag) in which many queer, trans and nonbinary people begin and develop their art practice without any funding and my perspective was strongly informed by this. We spoke at length about how academic and classist barriers (such as university education and other strict C.V. requirements) disproportionately affect queer and trans artists and how any attempt to include more of this marginalised group must commit to dismantling these barriers and actively supporting working class artists of all sexualities and genders. This would also involve questioning existing standards of ‘quality’ and how these may be informed by discriminatory biases.

Elke Weber | Kulturmanagerin, Company Manager She She Pop

© © privat

Wichtig für das Entstehen der Freien Szene waren – und wichtig für das Bestehen der Freien Szene bleiben: Selbstermächtigung, Solidarität und die Reflexion politischer Bedingungen. Sich nach Jahren, in denen wir als „Newcomer*innen“ gefeiert wurden, in einer AGEISM-Gruppe wiederzufinden ist schockierend und feierlich zugleich. Schockierend, weil unsere Rentenbescheide die künstlerische Lebensleistung unserer Generation und die zahlreichen Auszeichnungen und Laudatien, die wir erhalten haben, verhöhnen: Wir werden alle in der Altersarmut landen. Feierlich, weil wir es als Einzelkünstler*innen oder in Gruppen über 20, 30, 40 Jahre (trotz vorherrschender Projektlogik im Fördersystem) geschafft haben, uns unsere Arbeitsplätze selbst zu schaffen und deshalb noch nicht von der Bühne/Bildfläche verschwunden sind. Feierlich auch, weil wir in nur 3 Gesprächsrunden einen fruchtbaren, an Expertise reichen und für mich empowernden Austausch über Erfahrungen, kulturpolitische Ideen und Forderungen hatten, der in ein umfassendes Ergebnisprotokoll mündete. Ich hoffe, der Fonds Darstellende Künste kann diese Ergebnisse und die Dringlichkeit einiger Forderungen mit Nachdruck an die Kulturpolitik vermitteln. Altersarmut und prekäre Arbeitsbedingungen für Künstler*innen der Freien Szene sind und bleiben keine individuelle Entscheidung, sondern Ergebnis bzw. das Versagen von Politik.

Shlomi Moto Wagner | Performer, Sänger, Komponist & Schriftsteller

© © Or Kaplan

It was generally a great pleasure and an empowering experience to meet with fellow theatre-makers discussing some challenges I sometimes had no outlet to express on such a level. It became clear during the meetings that there is an urgency to realize spaces and programs in the free scene, in cooperation with theaters and within the fund itself, to support and take down barriers for easier access to gender and sexually diverse voices. It was important for me to raise the question of the materials we work with in our artistic processes, and the need for more queer texts and theater literature to be available to aspiring and professional theatre-makers and specifically to fund workshops or projects that will produce more texts highlighting such narratives. On a personal note, being an immigrant and a non-native-German speaker, I am thankful to have gotten the opportunity to discuss in a very collegial and safe environment.

Harald Redmer | Schauspieler, Regisseur, Kulturberater

© © privat

Noch relativ frisch im Rentenstatus, mit Erfahrung als freischaffender Künstler und als Lobbyist im Dickicht von Kultur- und Förderpolitik, gilt mein Blick verstärkt den Einzelkünstler*innen. Zwei Aspekte möchte ich aus unseren Diskussionen hervorheben: Zum einen die Kritik an einer sorgfältig ausdifferenzierten Förderlandschaft, die dennoch nach wie vor sozial und konzeptionell unsichere Arbeitsbiografien programmiert. Die 20, 30, 40 Jahre Jüngeren sollen es „besser haben“. Da gibt es noch viel zu tun. (KSK-Fragen, Altersvorsorge als Teil von Projektförderung, Lebensstipendien, etc.) Der zweite Aspekt zielt auf die Beziehung zwischen den Generationen. Es geht um Sicherung und Kommunikation von Erfahrung und Kenntnissen, um die Wertschätzung gelebter Künstlerbiografien der Freien Darstellenden Szene. Für unsere Generation reicht Alt-Sein allein sicher nicht aus, um Privilegien zu begründen. Ein stärkender Blick der Förderer*innen auf Sicherung und Austausch persönlicher Lebensleistungen wäre aber ein schönes, neues Fördermodul wert. Ich freue mich auf Fortsetzung der Diskussion.

Nadja Dias | Executive Producer Claire Cunningham Projects/Freie Produzentin

© Miriam Balija

Nadja Dias

Unsere Gruppe setzt sich aus behinderten und nicht-behinderten Künstler*innen und Produzent*innen (aus dem Netzwerk nicht-behinderter und behinderter Tanz- und Theaterschaffender) zusammen. Unsere unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen spiegeln eine Arbeitspraxis wider, in welcher die gelebte Erfahrung von Behinderung als Expertise einfließen kann und soll, was für mich eine wichtige Grundlage ist, nachhaltige Maßnahmen zu erarbeiten und zielführend umzusetzen. Als Gruppe haben wir im letzten Jahr die Möglichkeit gehabt, erste Maßnahmen zum Abbau von Barrieren und für mehr Zugänglichkeit mit auf den Weg zu bringen: Dazu gehören eine leichtere Website-Navigation, die Möglichkeit eine direkte Ansprechpartnerin in Fragen der Zugänglichkeit innerhalb des Fonds zu haben, Weiterbildungen und vor allem die Option der direkten Unterstützung im Antragsverfahren von Künstler*Innen mit Access Bedarf. Für mich sehr wichtig ist aber vor allem der regelmäßige Austausch und das ‚Bewusstwerden/ Bewusstmachen’ der bestehenden Barrieren als wichtiger erster Schritt. Wir müssen meines Erachtens das Rad nicht neu erfinden, sondern auf bestehende Erfahrungen, auch aus anderen Ländern – hier möchte ich mich insbesondere auf die Arbeit aus UK von Unlimited und dem Arts Council England berufen – zurückgreifen. Und müssen vor allem unter Einbindung und Anleitung von Expert*innen – den Künstler*Innen, die eine gelebte Erfahrung von Behinderung haben – endlich anfangen, gemeinsam und nachhaltig Barrieren abzubauen.