Wünsch Dir Was

Von Elisabeth Wellershaus

Wie das Theater zum Forschungsraum wird, der komplexen gesellschaftlichen Bedürfnissen nachspürt, das verhandeln drei Labs, mit denen Elisabeth Wellershaus gesprochen hat.

Einige Labs widmen sich dieses Jahr dem theatralen Forschen. Unter anderem arbeiten sie dabei mit Kindern und Jugendlichen zusammen, deren Interessen in der Gesellschaft bis heute politisch unterrepräsentiert sind. Dabei begegnen junge Menschen den wachsenden Herausforderungen des Alltags oft mit viel interessanten Ansätzen als Erwachsene.

Wie viel Potential im jugendlichen Forschungsinteresse steckt, las ich kürzlich in einem Text von Sibylle Peters nach. Peters ist Ko-Initiatorin des Labs zur „Zusammenarbeit von Künstler*innen und Kindern“. Mit dem Fundus Theater erforscht sie seit Jahren, was es bedeutet, die Welt aus Kinderperspektive zu erkunden. Und sie schreibt: „In ihrer frühen Forschung haben Kinder oft erstaunliche Erfolgserlebnisse. Es gelingt ihnen, zu stehen, zu gehen, zu sprechen, zu malen; kein Wunder, dass viele von ihnen für einige Zeit alles für möglich halten.“

Auch Erwachsene bringen zuweilen Erstaunliches zustande. Sie erfinden Telefone und Flugzeuge, entdecken Wirkstoffe wie Penicillin und bereichern die Welt mit den Forschungsergebnissen aus unterschiedlichsten Disziplinen. Doch den meisten Menschen wird bereits in jungen Jahren ausgetrieben, die Neugier an ihrer Umwelt in all ihren Widersprüchen und Möglichkeiten zu pflegen. Anstatt in ein gemeinsames Forschen hineinzuwachsen, schreibt Peters, „lernen Kinder und Jugendliche häufig zunächst etwas ganz anderes: dass sie bestimmte Dinge lernen müssen, ganz unabhängig von ihrem Wünschen und Wollen.“ Wie also kann Generationengerechtigkeit aussehen, in denen die Interessen von Kindern mehr Gehör finden?

Mit dem Lab, das Sibylle Peters begleitet, verstetigt sich ein Netzwerk aus 24 Künstler*innen, Forschenden und Kindern, die in Pandemiezeiten damit begonnen haben, den entsprechenden Raum dafür zu kreieren. Die darüber nachdenken, wie in Zukunft intergenerationell, performativ und vernetzt geforscht werden kann. Längst sind die Bühnen der Freien Szene Orte, an denen das Unvorstellbare mit unkonventionellen Mitteln erkundet wird. Doch das szenische Forschen mit jungen Publika bringt neue Möglichkeiten ins Spiel. Zusammen mit jungen Menschen lässt sich auf sehr direkten Wegen in die Zukunft denken. Denn zum Glück lassen viele von ihnen es sich dann doch nicht so schnell austreiben: Wünsche zu formulieren und das scheinbar Unmögliche einzufordern. Der Frage nachzugehen, wie es sich auf einem Planeten weiterleben lässt, der aktuell durch unterschiedlichste menschengemachte Katastrophen ins Wanken geraten ist.

Unter anderem hat das Netzwerk die Laborzeit genutzt, um sich mit Interspezies-Themen, neuen narrativen Modellen und der Frage auseinanderzusetzen, wofür und mit welchen Mitteln es sich zu kämpfen lohnt. Damit, wie Kinder, die bekanntlich schnell fürs Kämpfen zu begeistern sind, frühestmöglich einbezogen werden können, wenn es um programmatische Entscheidungen geht. „Unter anderem haben wir eine Kinderjury gegründet, die über vergangene Projekte aus dem Netzwerk abgestimmt hat, die auf unserer Webseite einsehbar waren“, erzählt Sibylle Peters. „Drei dieser Projekte wurden ausgewählt, um im Rahmen des von Anne Pretzsch initiierten Programms NACHMACHEN wieder aufgeführt zu werden. Dadurch entsteht Austausch zwischen unseren Projektthemen und auch eine gewisse Nachhaltigkeit.“

Wie notwendig das Imaginieren einer gemeinsamen Zukunft ist, die vor allem das Leben jüngerer Generationen prägen wird, zeigt sich in statischen Diskussionen über das Klima oder die kapitalistische Wachstumslogik. Es zeigt sich im Wünschen nach Veränderungen, die von der Wucht aktueller Krisen immer wieder überrannt werden. Doch vielleicht nähern wir uns der Erfüllung dieser Wünsche noch am ehesten in der gemeinsamen Reflexion. In kollektiveren Forschungsansätzen, wie sie im szenischen Forschen oder der Begegnung zwischen Performer*innen und jungen Publika bereits erprobt werden.

Das Erkunden und Befragen von Utopien gedeiht am ehesten in Räumen, die zur Öffnung bereit sind. Doch wie offen sind die kulturellen Räume dieser Tage in Deutschland? Wem stehen die Möglichkeiten forschenden Verhandelns zur Verfügung? Wer fühlt sich in Theatern oder anderen Kulturräumen willkommen? Und wem sind bereits herkunftsbedingt Steine in den Weg gelegt, wenn es darum geht, sich an öffentlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen? Mit ähnlichen Fragen beschäftigt sich das Lab „The Words of the Arty Class“. Nuray Demir und Michael Annoff untersuchen darin die intersektionalen Verschränkungen von Klassismus und Rassismus in Bezug auf das Produzieren und den Umgang mit den Publika der Freien Theaterszene. Diese Arbeit knüpft an die Beiträge ihrer Serie „Kein schöner Archiv“ an. Ein Projekt, das sich der Dokumentation des immatierellen kulturellen Erbes der „postmigrantischen“ Gesellschaft widmet.

In Veranstaltungen über Bildungschancen und die Ungleichbehandlung von Kindern in deutschen Schulen, über prekarisierte Arbeit und die kollektive Erschöpfung marginalisierter Gruppen spüren Demir und Annoff den strukturellen Ausschlussmechanismen der Dominanzgesellschaft nach. Als First Generation Academic weiß Demir um die vielfältigen Wirkweisen gesellschaftlicher Exklusion. Im digitalen Gespräch sagt sie: „Ich wünsche mir, dass identitätspolitische Diskurse nicht mehr von einer weißen bürgerlichen Mehrheit vereinnahmt werden.“ „Das Freie Theater war schon immer im Lockdown“ lautet der Titel eines Textes, den sie und Annoff 2020 veröffentlicht haben. Denn nicht erst seit der Pandemie werden viele Menschen in Deutschland aus akademischen und kulturellen Räumen ausgeschlossen.

Zu sehen ist ein Teil der Floating University, vor und in dem die beteiligten Künstler*innen stehen und freudig in die Kamera schauen. © Pablo Hassmann

Auch Leicy Valenzuela wünscht sich strukturelle Öffnung. Im Zoom-Call spricht sie über die frustrierenden Erfahrungen von Künstler*innen aus migrantischen Communities, deren Arbeiten noch immer oft unsichtbar für ein größeres Publikum bleiben. Im MicelArtistLab fokussierte sie sich mit neun Wegbegleiter*innen auf den Ausbau eines Wissensaustauschnetzwerks für in Deutschland lebende Künstler*innen aus Lateinamerika. „Es geht uns um die Stärkung von Arbeitsstrukturen und um die Wahrnehmung unserer Arbeit“, sagt sie. „Auch darum, Strategien zu entwickeln, um das Publikum als wichtigen Teil der migrantischen Communities einzubeziehen.“ Es sei ein Publikum, dem bislang an vielen Stellen die Zugänge zur kulturellen Partizipation verstellt blieben. „Aber Theater sollte nicht abgekoppelt vom Leben jenseits der Bühne stattfinden“, erklärt die Performerin und Theaterpädagogin. Vielmehr gehe es in ihrem Lab um das Stärken von Verbindungen.

Zuschauer*innen, von denen viele sich als Teil lateinamerikanischer Gemeinschaften verstünden, nutzten ihre Performances auch als Treffpunkte. Um sich zu begegnen und auszutauschen. Der Forschungsanspruch in ihrem Lab liegt unter anderem im Erkunden der gemeinsamen Räume. In der Auseinandersetzung mit der Frage, wie aus geteilter Erfahrung gemeinsames Handeln wird. Und wie aus teils widrigen Bedingungen kultureller Produktionen das Beste für die eigenen Bedürfnisse entstehen kann. „Wir wollen der Konkurrenzlogik, die viel zu oft durch die Strukturen in der Freien Szene entsteht, keinen Raum geben, sondern uns gegenseitig unterstützen. Auch im Umgang mit Publikum immer ein kollektives Handeln im Kopf behalten – damit wir von vielen gesehen werden.“

Um Sichtbarmachung, Partizipation und Disruption geht es 2023 in vielen Labs. Oder in den Worten von Leicy Valenzuela: „Darum anzuerkennen, dass wir keine Minderheiten sind. Denn wir sind viele!“

Im Sommer 2023 haben freie Künstler*innen-Gruppen in 64 Bundesweiten Artist Labs das Verhältnis zum Publikum in post-pandemischen Zeiten untersucht. Unsere Redakteurin Elisabeth Wellershaus und ein Team aus Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.

Elisabeth Wellershaus ist Journalistin und Autorin und beschäftigt sich mit Fragen der Dekolonialisierung sowie mit kulturellen Aushandlungsprozessen rund um die Themen Nachhaltigkeit, Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Als Redakteurin arbeitet sie für verschiedene deutschsprachige Medien, unter anderem für die Kolumne 10nach8 bei Zeit Online. Ihr Buch „Wo die Fremde beginnt“ erschien im Januar 2023 bei C.H.Beck und wurde für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert.