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Keine Angst vor neuen Männlichkeitsbildern

By Nora Burgard-Arp

In Potsdam erforscht DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN am kommenden Wochenende neue Erzählformen in unbeständigen Zeiten. Die Journalistin und Schriftstellerin Nora Burgard-Arp beschäftigt sich mit feministischen Perspektiven auf rechtsextreme Narrative. Für unser Magazin erzählt sie aus ihrer Praxis als Autorin.

Es waren ungefähr zehn junge Männer. Sie waren um die 18 Jahre alt. Kurz rasierte Haare, trainiert, groß. In ihren Augen: Wut. Oder vielleicht sogar Hass? Diese Männer standen geschlossen auf, noch während ich vorlas. Sie verließen den Raum, demonstrativ, so zumindest habe ich es interpretiert. Was ich gelesen habe? Eine Stelle aus meinem Roman „Wir doch nicht” – eine Dystopie, in der eine rechtsextreme Partei in Deutschland die Macht übernimmt und Frauen zu Gebärmaschinen degradiert. Die Stelle, die ich in diesem Moment las, war eine Szene, in der junge Männer um die 18 Jahre eine Joggerin sexuell belästigen und sie gegen ihren Willen anfassen.

Seit zwei Jahren toure ich mit dem Roman durch Schulen, lese daraus vor und diskutiere mit Schüler*innen über Rechtsextremismus und das damit einhergehende Männerbild. Ein Männerbild, das Brachialität, Alpha-Männchen-Gehabe, Dominanz und Wut vermittelt. Nach der Lesestelle, während der zehn Schüler der Berufsschule, in der ich las, gegangen waren, spulte ich – trotz großer Verunsicherung – mein übliches Programm ab: Ich erklärte, warum sexualisierte Gewalt von Rechtsextremen noch stärker normalisiert wird als sie es in unserer Gesellschaft ohnehin schon ist. Ich ordnete das Männlichkeitsbild der Rechtsextremen ein, erklärte, dass es auch für die Männer selbst einschränkend ist. Und dann passierte es wieder: Junge Männer standen auf und verließen den Raum.

Im Zug nach Hause spürte ich meine eigene Wut aufsteigen. Männer sämtlichen Alters sollten es verdammt noch mal endlich aushalten, dass Frauen ihnen den Spiegel vorhalten. Ich zumindest will nicht mehr akzeptieren, dass Männer auf eine vermeintliche Überforderung oder Verunsicherung mit Ablehnung oder Wut reagieren, weil sie angeblich nicht gelernt haben, anders mit ihren Gefühlen umzugehen. Diese Argumentation reicht nicht im Ansatz, um zu erklären, wo Frauenhass und repressives Verhalten gegenüber Frauen, herkommen. Das Motto „Boys will be Boys” muss endlich abgelöst werden.

Unnachgiebiges Aushandeln von Gleichberechtigung

Es mag widersprüchlich klingen, aber ein Vehikel für Veränderungen könnte weibliche Wut sein. Damit meine ich nicht das radikale Ausleben unkontrollierbarer Gefühlswelten, sondern Alternativen zu jenen Verhaltensattributen, die Frauen bis heute oft abgerungen werden – einem gemäßigten, ruhigen, zurückgenommenen Auftreten. „Female Rage“ kann als Reaktion auf patriarchal dominierte Welten gelesen werden, in denen Frauen sich anpassen und unterordnen sollen. Ein wichtiges Instrument, um diese Wut konstruktiv einzusetzen, ist die Sprache: Wir müssen lernen, unnachgiebiger zu argumentieren – in der Kunst, im Journalismus, im Privaten und im Politischen. Wir müssen Utopien zeichnen, drastische Lösungsvorschläge formulieren. Und wir müssen einfordern, dass Männlichkeit in diesen und anderen Kontexten nicht mehr auf der Grundlage von Unterdrückungsstrukturen definiert wird.

Ein wichtiges Aushandlungsinstrument dafür ist auch die Kunst, mit der seit jeher Utopien für neue gesellschaftliche Verhältnisse entworfen werden. Gerade im Theater und in den darstellenden Künsten öffnen sich Räume, in denen sowohl die performative Kraft neuer Gesellschaftsbilder als auch die Auseinandersetzung mit starken Gefühlen – und Reaktionen auf bestimmte Themen – verhandelt werden können.

Ein Beispiel: die Theaterproduktion „Rausch und Zorn” von LIGNA, einem Kollektiv aus Medien- und Performance-Künstler*innen. Das Projekt hat das Ziel, die Zuschauenden über immersive akustische Erlebnisse in Auseinandersetzung mit dem Thema autoritäter Herrschaften und ins Nachdenken über eigene Handlungsmöglichkeiten zu bringen. Dafür wird das Publikum per Kopfhörer aktiv mit der verbalen Wucht faschistischer Herrschaften und mit Äußerungen von Politiker*innen konfrontiert; ihre Reaktionen werden unmittelbar in die Performance eingebaut. Eine der zentralen Fragen des Projekts lautet: Wie generiert sich die offenbar verführerische Kraft populistischer Parolen, die immer mehr Menschen in Europa aktuell auf rechte oder rechtsextreme Pfade führt?

Bathed in subdued, reddish light, a group of people stand tightly packed in the room with their arms stretched upwards. © Jörg Baumann

Snapshot from "Rausch und Zorn" by the LIGNA group.

Rechte Ideologien und ihre Männlichkeitsbilder

Das Thema ist unmittelbar mit der Frage nach repressiven und machthierarchischen Genderstrukturen verbunden. Frauen, die sich öffentlich für ihre Rechte, für ein Leben ohne sexualisierte Gewalt und ohne Unterdrückung einsetzen, sehen sich zum Beispiel permanent mit Hass konfrontiert. Manchmal, wie in meinem Fall, „nur” durch Machtdemonstrationen oder ablehnende Gesten. Aber oft wird es expliziter und gewaltvoller. Im Netz werden Feministinnen beschimpft, sexualisiert und häufig auch bedroht. Besonders betroffen sind migrantische oder migrantisierte Frauen, denn Frauenhass und Rassismus gehen Hand in Hand, sind zwei sich ergänzende Pfeiler menschenfeindlicher rechtsextremer Ideologien. Denn die Vorherrschaft weißer, heterosexueller, gesunder Männer festigt sich – so die Logik von Rechtsextremen – indem andere Geschlechter, Menschen mit Behinderung, einer anderen sexuellen Orientierung oder Menschen mit Migrationsgeschichten systematisch unterdrückt werden.

Viele Frauen berichten seit Jahren davon, wie stark ihnen der Hass zusetzt. Auch ich habe bei meiner Lesung deutlich gespürt, dass aus Verunsicherung schnell Angst werden kann. Dass ich an diesem Tag weniger selbstbewusst war, weniger vehement diskutierte, meinen Kopf häufiger senkte und die jungen Männer, die noch etwas länger im Raum blieben, nicht mehr anschaute.

Ein noch immer patriarchal geprägtes Gesellschaftsgefüge wird durch jahrhundertelange Traditionen männlicher Vorherrschaft fortgesetzt und verfestigt sich durch stereotype Bilder in der Kultur – von männlich dominierten Kulturbetrieben, über balzende Bachelors im Reality-TV bis zu selbsternannten Männercoaches bei TikTok.

Rechtsextreme weltweit nutzen genau dieses Männlichkeitsbild aus. Maximilian Krah sagte bei TikTok: „Echte Männer wählen rechts.” Björn Höcke postulierte: „Nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.” Zudem schüren sie Ängste: Feministinnen wollen „unsere deutschen Männer” verweichlichen, sagen sie, wollen Männlichkeit unterdrücken oder gar ausrotten. Dass das gerade bei jungen Männern, die auf der Suche nach Orientierung und ihren Rollen in der Gesellschaft sind, Wirkung zeigt, liegt auf der Hand.

Der antifeministische Backlash

Das zahlt auf einen gesellschaftlichen Effekt ein, der schon seit Jahrzehnten zu beobachten ist: den sogenannten Backlash. Je stärker sich die eine Seite einer Gesellschaft für Progressivität und Gendergerechtigkeit einsetzt, desto stärker und verhärteter wird die Gegenbewegung. Die Literaturwissenschaftlerin bell hooks erklärt in Buch „Who’s Afraid of Women’s Studies?", dass jede tiefgreifende Kritik an patriarchaler Maskulinität die bestehenden Herrschaftsstrukturen bedrohe und dadurch einen antifeministischen Backlash erzeuge. Auch die US-amerikanische Journalistin Susan Faludi schreibt in Ihrem Buch „Backlash. The undeclared War against Women”, dass die zunehmenden antifeministischen Ressentiments erst durch die wachsende Möglichkeit in Gang gesetzt wurden, dass Frauen den Kampf für komplette Gleichberechtigung tatsächlich gewinnen könnten.

Feministischer Fortschritt und männliche Auflehnung gegen diesen Fortschritt wachsen parallel, sie bedingen und fördern einander. Aber wie können wir diese Entwicklung aufhalte, den Riss vielleicht sogar kitten? Schon Hannah Arendt hat sich mit der Frage beschäftigt, wie Literatur die Pluralität unserer politischen Wirklichkeit nicht nur widerspiegeln, sondern sie vor allem auch erfahrbar machen kann – wie sie Dialoge eröffnet und Menschen dazu bringt, politisch aktiv zu werden. In ihrem Buch „Hannah Arendt. Die Kunst, politisch zu denken“ überträgt Maike Weißpflug diese Theorien auf die Krisen unserer aktuellen Zeit und sucht nach demokratischen Auswegen. Weißpflug konzentriert sich dabei vor allem auf den Umgang mit der Klimakatastrophe. Doch letztendlich lässt sich dieser Ansatz auf fast alle gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart übertragen – auch auf den wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland und dem Rest der Welt. Und in diesem Zusammenhang auch auf rechte Männlichkeitsbilder.

Ich bin sicher: Wenn wir die Wahrnehmung von Männlichkeit von strukturellen Unterdrückungsmechanismen entkoppeln, können wir unsere Demokratie stärken, vielleicht sogar retten. Denn Unterdrückung ist der Nährboden, auf dem Rechtsextremismus mit all seinen Facetten – Rassismus, Antisemitismus, Frauenhass, Behinderten-, Queer- und Transfeindlichkeit – gedeiht.

Für eine durchlässigere Gesellschaft müssen wir mit Hilfe von Sprache und Kultur Lebenswelten zeichnen, die uns suggerieren, wie ein neues Miteinander aussehen kann. Wir müssen neue Formen von Gesellschaft und Zusammenleben entwerfen. Auch Männer müssen diese Utopien mitentwickeln und mittragen – müssen lernen, dass es für ihre Identitäten unzählige Möglichkeiten jenseits patriarchaler Strukturen gibt. Denn im Aufbrechen von struktureller Geschlechterdominanz liegt die Chance für echte Veränderung.


Dieser Text ist Teil einer Artikelserie, die das Programm von DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN begleitet. Elisabeth Wellershaus betreut die Reihe, in der sie mit Autor*innen wie Esther Boldt, Nora Burgard-Arp, Zonya Dengi oder Mirrianne Mahn auf offene und geschlossene Räume in einer fragilen Gesellschaft blickt.

Am 29.6. findet der Workshop „Zorn und Rausch“ von der Gruppe LIGNA statt (auch am 30.06.). Am selben Tag richten Alexander Karschnia und Maike Weißpflug den Workshop „Eine Welt nicht zu verlieren: Die Kunst, politisch zu handeln oder Hannah Arendt heute“ aus. Welche Strategien der Selbstermächtigung zu politischer Wirksamkeit führen diskutieren Katharina Warda (Soziologin), Stella Leder (Institut für Neue Soziale Plastik), Maike Weißpflug (Politische Theoretikerin) mit Alexander Karschnia (Autor, Theatermacher, Dramaturg). Mit starker, sanfter Kindermusikkultur“ wendet sich die feministische Musikerin Sukini/Sookee in 3 Songs für die Liebe und ein Statement gegen den Hass" – auch, aber nicht nur - an die jüngeren Besucher*innen.