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Kollektives Lernen

By Elisabeth Wellershaus

Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Lara-Sophie Milagro erzählt über die Arbeit des Labors „Decolonised Glamour Talks“ und spricht über Marginalisierung und Intersektionalität in den Darstellenden Künsten.

LABOR – Decolonised Glamour Talks

Was hat das Thema Eures Labs inspiriert, wie kamt Ihr dazu, neue Gesprächsformen mit marginalisierten Künstler*innen zu entwickeln?

Als afrodeutsche Frau im Kulturbetrieb bin ich immer irgendwie auch aktivistisch tätig. Ähnlich geht es den Kolleginnen, mit denen ich das Lab durchgeführt habe, zwei weitere Schwarze Frauen und eine jüdische. Wir alle werden permanent dazu gezwungen, uns zu verschiedensten Themen zu positionieren – auch wenn wir einfach nur arbeiten wollen. Von 2018 bis 2020 habe ich eine Kolumne mit dem Titel Heimatgeschichten für Nachtkritik geschrieben. Gen Ende dieser Zeit schienen sich bestimmte Fragen, die von außen an mich rangetragen wurden, ständig zu wiederholen: Kann eine asiatisch gelesene Schauspielerin in einem deutschen Historienfilm mitspielen, oder ist das geschichtsverfälschend? Ist es diskriminierend, wenn ein Mensch ohne Behinderung keine Rollstuhlfahrer*innen mehr spielen darf? Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr, zu erklären. Ich wollte meine Energien lieber in die Communities stecken, in denen sich bestimmte Erfahrungen mit meinen überschnitten – und wo ich selbst dazulernen konnte.

Was war der formale Ausgangspunkt für Euer Labor?

Die Idee war, dass wir performative Talks führen und filmen wollten. Gespräche mit Menschen aus dem Kulturbereich, die aus unterschiedlichsten Perspektiven erzählen konnten: Schauspieler*innen, aber auch Leute aus dem Backstagebereich – zum Beispiel Hair and Make-up-Artist*innen und Bühnenbildner*innen. Auch mit PR-Leuten haben wir gesprochen, die einen großen Einfluss darauf haben, wie Kunst und Kultur dargestellt werden. Im Fokus sollten vor allem Menschen stehen, die Marginalisierungserfahrungen im Berufsalltag machen. Die Frage war nur, wo das Geld für ein solches Projekt herkommen sollte. Also habe ich mich beim Lab beworben und Unterstützer*innen gefunden: die freie Journalistin Tammy Wolf, Dominique Hansel vom Missy Magazin und Esther Slevogt von der Nachtkritik. Als der Rahmen gesetzt war, haben wir mit unseren Gäst*innen über ihre Arbeit geredet, die einerseits im Kontext aktueller Diversitätsdebatten steht, andererseits im Spannungsfeld von freier und institutionalisierter Szene. Am Ende stand immer eine kurze performative Einlage –wo wir uns künstlerisch begegnet sind.

Foyer in the Haus der Berliner Festspiele: Several people sit facing each other loosely in a circle and talk to each other. © Dorothea Tuch

Wie seid Ihr auf den Namen Eures Labs gekommen – Decolonised Glamour Talks?

Ich wollte den eher trockenen Begriff Dekolonisation mit etwas Beschwingterem verbinden. Unter anderem ging es darum, zu vermitteln, dass wir keine griesgrämigen Menschen sind, die den ganzen Tag nur über Diskriminierung reden. Dass unseren Gesprächen eine empowernde Kraft innewohnt. Auch waren die Orte, an denen die Gespräche stattfanden, entscheidend. Es waren keine kleinen Off-Keller-Theater, sondern etablierte Häuser, deren Räume wir uns zum Teil erst aneignen mussten. Wir haben im Friedrichsstadtpalast gefilmt, in den Räumen der Dekoloniale, im Delphi-Kino in Weißensee und in der Volksbühne. Uns war wichtig, dass wir uns zu diesen Orten in Beziehung setzen konnten. Die Dekoloniale ist natürlich sowieso ein dezidiert politischer Raum. Aber auch für die anderen Orte zahlen wir – marginalisierte Gruppen – Steuern. Und wir kommen noch immer zu selten darin vor. Wobei mich der Friedrichsstadtpalast überrascht hat. Ich hatte ihn immer in den Sphären der etwas seichteren Unterhaltung eingeordnet. Aber tatsächlich hat gerade dieser Ort schon ganz früh Schwarzen und queeren Menschen eine Heimstätte gegeben.

Du beschreibst die Räumlichkeiten als wichtigen Aspekt für die Entstehung der Filme. War auch die Art der Zusammenarbeit entscheidend für das Projekt? Wie habt ihr euch als Kollektiv erlebt?

Das war interessant. Wir leben ja in Zeiten des Umbruchs, wo Hierarchien in Frage gestellt werden. Aber die Frage ist, was an ihre Stelle tritt. Die Machtstrukturen einer weißen, patriarchalen Mehrheit haben wir schließlich alle internalisiert. Und es ist alles andere als einfach, sie zu überwinden. In Projekten wie unserem geht es darum, ungleiche Systeme zu verändern und den Schritt in Richtung Gleichberechtigung zu verfestigen. Dafür zu sorgen, dass der Umgang mit Diversität keine Modewelle bleibt – und weitere Rechte erkämpft werden. Aber es geht eben auch darum, zu erforschen, wie wir selbst diese Machtstrukturen in unseren Communities reproduzieren. Denn jede*r von uns trägt Minderheiten und Mehrheiten in sich. Für mich bedeutet kollektives Arbeiten vor diesem Hintergrund nicht die Abwesenheit von Hierarchie. Sondern eher das Rotieren von Aufgaben und Verantwortungen. Im Lab ist das eigentlich gut gelaufen. Aber selbst dort hat man gesehen, dass wir aus sehr verschiedenen Arbeitsstrukturen und Lebenssituationen kommen.

Inwiefern und an welchen Stellen haben sich die sehr unterschiedlichen Erfahrungen Eurer Gäst*innen mit Euren eigenen überschnitten?

Da gab es viele Momente. Aber an einen erinnere ich mich besonders. Es war im Gespräch mit einer Schwarzen Kollegin aus dem Hair and Make-up Bereich. Es war sehr berührend, wie sie über die politischen Aspekte von Schwarzer Haut und Afro-Haaren sprach. So viele von uns haben es schon erlebt: im Theater zu hell, zu dunkel, zu grau auszusehen, weil das passende Make-up fehlte. Den Spruch zu hören: „Was machen wir denn jetzt bloß mit deinen Haaren?“ Es sind Momente, in denen man sich wie ein Problem fühlt, und das hat sie sehr eindrücklich beschrieben. Die Redakteurin, die an dem Tag das Projekt betreut hat, fing direkt an zu weinen, auch mir ging es wahnsinnig nah, diese Erfahrungen zu teilen. Am Ende war Konsens unter uns allen, dass es Teil der Maskenbildner*innen-Ausbildung werden muss: zu lernen, wie man mit Haaren und Haut umgeht, die nicht dem weißen Mainstream entsprechen.

Gab es auch Momente, in denen Erfahrungen so weit auseinandergingen, dass die entsprechenden Perspektiven nicht mehr kompatibel schienen?

Der Talk mit Jana Zöll, einer Kollegin mit Behinderung, war in dieser Hinsicht für mich sehr lehrreich. Als performative Einlage am Ende des Gesprächs wollte sie etwas Burlesques machen, weil sie gerade eine Tanzausbildung macht. Es war eine kleine Kontaktimpro, aber schon dabei bin ich an gewisse Grenzen gestoßen. Die Choreografin, mit der wir zusammengearbeitet haben, hatte uns zu Beginn nach Dos and Don’ts gefragt. Sie war an einigen Punkten deutlich offener als ich, hatte kein Problem, sich Sternchen auf die Brustwarzen zu kleben oder sich grundsätzlich auszuziehen. Als Schwarze Frau erlebe ich seit Jahrzehnten die Exotisierung des eigenen Körpers. Als behinderte Frau erlebt Jana, dass ihr Körper häufig entsexualisiert wird. Es war total interessant, an welcher Stelle wir uns da begegnet sind. Genau diese Art des Austausches will ich weiterführen, auf verschiedensten Ebenen. Ich möchte weiter darüber sprechen, wie unsere Arbeitswelten sich entwickeln können, wo marginalisierte Künstler*innen repräsentiert werden, und wie sich Kunst abseits des Mainstreams produzieren lässt.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.